Auch wir sind Bayern


Am Internationalen Tag gegen Homosexuellen-, Bisexuellen-, Inter- und Trans-Feindlichkeit (IDAHOBIT) setzen Menschen auf der ganzen Welt ein Zeichen für die Menschenrechte von LSBTIQ*. Für Vielfalt und Freiheit. Auch in Bayern veranstalten einige Organisationen Aktionen, um auf die historischen Erfolge queerer Menschen, aber auch auf die nach wie vor bedrohliche Lage für LSBTIQ* hinzuweisen.

Auch wir sind Bayern (© Markus Apel)

Viel zu oft wird Personen, die sich als irgendwie queer verstehen, ihr Wert als Mensch abgesprochen. Ihnen wird vorgeworfen sie seien zu laut, zu sichtbar, zu fordernd. Sie gehörten nicht zum relevanten Teil unserer Gesellschaft und sollten sich doch lieber unterordnen. Immerhin seien die meisten Menschen eben nicht „queer“, sondern Mann, Frau und hetero.

Unsere Gesellschaft ist vielfältig. Jede Person sollte sicher und frei leben können. Eigentlich ganz einfach, oder? Für viele queere Menschen ist es aber nicht so einfach, sie selbst zu sein. Nicht immer. Manche werden sogar mehrfach diskriminiert oder sind regelmäßig Gewalt ausgesetzt. Wir haben sechs Menschen drei Fragen gestellt, wie das in ihrem Leben so ist – queer zu sein.

L wie lesbisch – Sarah

Wie definierst du dich in Bezug auf deine sexuelle und geschlechtliche Identität?

Ich identifiziere mich als lesbische Frau. Mit 25 habe ich meine jetzige Frau kennengelernt und wir haben gleich nach der Eheöffnung 2017 geheiratet. Das war ein so wunderbarer Tag.

Wie sicher und wohl hast du dich in deinem bisherigen Leben gefühlt, als der Mensch der du bist, sichtbar und offen zu sein?

Meine Familie war eigentlich sehr offen und so. Aber bis ich meine Frau geheiratet habe, waren sie doch sehr unsicher, wie sie mit mir und meinem Leben als lesbische Frau umgehen sollen. Ich habe lange Zeit lieber nicht über meine Freundin oder andere Themen gesprochen. Weder mit meiner Familie noch mit anderen Bekannten. Das war echt eine Herausforderung. Mittlerweile, mit 37, fühle ich mich sicher genug, mich nicht mehr zu verstecken. Auch wenn meine Frau und ich uns immer wieder auf der Straße oder in der U-Bahn scheiß Sprüche anhören müssen.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Ich wünsche mir mehr Sicherheit, wenn ich als lesbische Frau in der Öffentlichkeit sichtbar bin. Es gab schon ein paar Situationen, in denen ich mir nicht sicher war, ob die Polizei oder andere Leute mir wirklich geholfen hätten, wäre ich irgendwo zusammengeschlagen worden. Ich wünsche mir da viel mehr Zusammenhalt und Rücksicht in der Gesellschaft.

S wie schwul – Pavlo

Wie definierst du dich in Bezug auf deine sexuelle und geschlechtliche Identität?

Ich identifiziere mich als schwuler cis-Mann.

Wie sicher und wohl hast du dich in deinem bisherigen Leben gefühlt, als der Mensch der du bist, sichtbar und offen zu sein?

Mein Geburtsort ist eine Kleinstadt in der Ukraine (damals noch Sowjetunion). Als ich zur Schule ging, habe ich Situationen erlebt, in den ich in Bezug auf mein “Anders als die Anderen”-Sein von bestimmten sozialen Gruppen ausgegrenzt und sogar gemobbt wurde. Als Reaktion darauf habe ich lange Zeit versucht mich anzupassen, denn gerade als Jugendlicher empfand ich Zugehörigkeitsgefühl als enorm wichtig. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, mich selbst zu akzeptieren wie ich bin und das hat nicht nur mein Selbstvertrauen gestärkt, sondern auch positive Auswirkungen in meinem Umfeld hervorgerufen. Kurze Zeit, nachdem ich nach Deutschland gezogen bin, im Alter von 22, habe ich mich geoutet. Danach ist es mir viel leichter gefallen, mit meiner Familie über meine Sexualität zu sprechen. Rückblickend weiß ich, dass mir die äußere Akzeptanz und der Mut sichtbar und offen mit meiner Sexualität umzugehen so lange gefehlt haben, bis ich mich selbst akzeptiert habe so wie ich bin.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Verglichen mit anderen Ländern wie zum Beispiel Ukraine, hat die LSBTIQ Community schon viel mehr Unterstützung und Akzeptanz. Allerdings sollte man noch mehr tun in Bezug auf Intersektionalität. Es fehlt eine Schnittstelle für Dialog, einen Generationsübergreifenden Austausch. Ein anderes wichtiges Thema ist meines Erachtens das Gefälle von möglichem Support zwischen den queeren Personen, die in einer Großstadt leben und in ländlichen Regionen. Oder aber die Personen, die einen diversen ethnischen und/oder religiösen Background haben. Es gibt viele Personen, die sich nicht trauen, bestimmte Themen in Bezug auf eigene geschlechtliche Identität oder Sexualität anzusprechen und es fehlt an Safe Spaces, an Anlaufstellen für genau diese Menschen. Um die Community zu vernetzen, zu empowern und zu trainieren, habe ich QUEERMENTOR ins Leben gerufen. Diese gemeinnützige Initiative startet in wenigen Wochen und wird es jeder queeren Person in Deutschland ermöglichen, Support für die eigene Entwicklung zu finden – im beruflichen sowie im persönlichen Kontext.

B wie bisexuell – Sekou

Wie definierst du dich in Bezug auf deine sexuelle und geschlechtliche Identität?

Ich bin ich. Ich bin Sekou und bisexuell. Schon mit 15 hab ich das gewusst, aber erst jetzt, mit 28, fühle ich mich so damit wohl. Hätte mir gewünscht, das wäre schon mit 15 so gewesen…

Wie sicher und wohl hast du dich in deinem bisherigen Leben gefühlt, als der Mensch der du bist, sichtbar und offen zu sein?

Kommt drauf an. Wenn ich mit Freund:innen unterwegs war, hab ich mich schon sicher und gut gefühlt. Aber sobald da andere dazukamen nicht mehr. In meiner Familie gar nicht. Ich bin in Guinea geboren und aufgewachsen. Da war das alles nicht so leicht. Das ist ein sehr konservatives Land. Bin 2019 nach Deutschland gekommen und habe hier Schutz gesucht. Aber es es war ein Kampf, hier in der EU bleiben zu können. In Guinea werden Leute verfolgt oder umgebracht, wenn sie homosexuell sind. Die deutschen Ämter wollten mir nicht glauben, dass ich bisexuell bin und wollten, dass ich wieder zurückgebracht werde. Zum Glück gab es ein paar Leute, die mich unterstützt haben. Sonst wäre ich vielleicht nicht mehr auf der Welt.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Wenn Leute bisexuell sind wird ihnen immer noch gesagt, dass sei irgendeine Phase oder sie belügen sich selbst. Was für ein Quatsch. Ich weiß schon wer ich bin, aber es ist nicht immer leicht und gut das zu zeigen, wer ich bin. Wenn mehr Menschen zuhören würden, anstatt gleich zu urteilen, wäre alles besser.

T wie trans* – Patricia

Wie definierst du dich in Bezug auf deine sexuelle und geschlechtliche Identität?

Ich bin eine Frau…definitiv. Für Außenstehende als Transfrau bezeichnet. Ich lebe seit 31 Jahren mit meiner Partnerin zusammen und sie hat mein Coming out vor 11 Jahren glücklicherweise sehr gut akzeptiert. Wir lieben uns, definieren uns dennoch als heterosexuell.

Wie sicher und wohl hast du dich in deinem bisherigen Leben gefühlt, als der Mensch der du bist, sichtbar und offen zu sein?

Ich sehe es als Aufgabe, Menschen (an Schulen, Unis etc.) über Trans* aufzuklären und habe gelernt, dass nicht alles, dass als Diskriminierung erscheint, auch wirklich so ist. Faktisch besteht sehr viel Unwissen gegenüber dem Thema und ich nenne es meine Mission, dieses auszuräumen. Durch all diese Arbeit fühle ich mich zu einem Großteil recht sicher. Ich fühle mich in meiner Rolle sehr wohl, aber erkenne mich im Spiegel leider noch immer als Mann (eben das alte Bild) und befürchte, dass andere mich auch so sehen, obwohl ich von meinem Umfeld keinerlei negative Reaktionen bekomme. Menschen, die mich diskriminieren wollen, stelle ich mich gern entgegen. Natürlich ist dies immer mit etwas Furcht verbunden, aber das ist sicherlich normal, da man nie weiß, wer helfen würde, falls man direkt körperlich angegriffen wird.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass Themen wie Trans* nicht immer als etwas „Sonderliches“ betrachtet werden. Transmenschen sind Menschen, nicht mehr und nicht weniger. Und jeder Mensch sollte die gleichen Rechte besitzen. Ein Mensch sollte hierzu auch selbstbestimmt sagen dürfen, wie er*sie sich fühlt und dies auch leben dürfen. Auch Minderheiten müssen von unserer Politik erfasst werden und nicht als Randerscheinung verschwinden oder gar als Trend der Zeit abgetan werden.

I wie inter* – Elisabeth

Wie definierst du dich in Bezug auf deine sexuelle und geschlechtliche Identität?

Ich definiere mich als pansexuell, da das Geschlecht für mich keine Rolle spielt in Bezug auf die Anziehung und als inter* da ich das Ullrich-Turner-Syndrom habe und somit nur ein X Chromosom.

Wie sicher und wohl hast du dich in deinem bisherigen Leben gefühlt, als der Mensch der du bist, sichtbar und offen zu sein?

Ich fühle mich wohl und habe kein Problem offen mit meinen Identitäten umzugehen. Es gab aber im beruflichen Kontext immer wieder Momente wo ich mich aus Angst vor Diskriminierung bedeckt gehalten habe bzw. negativ auf mein Outing reagiert wurde.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Ich wünsche mir Zusammenhalt in der Community, eventuell ein eigenes Buch zu schreiben und ein Vorbild für junge inter* Personen bzw. Kinder sein zu können. Politisch bin ich sehr dankbar für das OP Verbot, auch wenn hier sicherlich noch nachgebessert werden kann und sollte.

Q wie queer – Jakob

Wie definierst du dich in Bezug auf deine sexuelle und geschlechtliche Identität?

Ich bezeichne mich selbst als queer, durch meine vielfältige Identität. Zum einen bin ich transmaskulin. Mit sexueller und romantischer Anziehung wird es komplizierter, da ich mich auf dem asexuellen Spektrum bewege (grayace) und demiromantisch bin. Das alles drückt aber erst mal nur die Funktionsweise der Anziehung aus, aber nicht unbedingt zu wem, was auch nur schwer zu definieren ist, da dies nur so selten vorkommt. Auf romantischer Ebene kann ich mich zu Menschen jeden Geschlechts hingezogen fühlen. Es gibt immer wieder Debatten, ob man dies nun als bi, pan, omni usw. bezeichnet. Mich mit dem Begriff „Queer“ zu bezeichnen, macht es möglich dies alles zusammenzufassen und schließt auch gleichzeitig die Offenheit gegenüber queerplatonischen Beziehungen ein. Das hilft mir, mich anderen Menschen gegenüber kurz und bündig mit einem Wort vorstellen, ohne das alles erklären zu müssen. Microlabels sind zwar hilfreich, aber auch überwältigend zu erklären und ich will diese nicht jedem erklären und evtl. auch noch ihre Validität debattieren müssen, nur um ich selbst sein zu dürfen.

Wie sicher und wohl hast du dich in deinem bisherigen Leben gefühlt, als der Mensch der du bist, sichtbar und offen zu sein?

Nicht besonders. Ich habe eine Behinderung und bin im Alltag auf Hilfe angewiesen. Insbesondere Organisationen sind im ländlichen Raum oft nicht sehr aufgeschlossen für das Thema. Ich kann ich mich nicht sicher outen und offen leben, da meine Lebensgrundlage von der Unterstützung durch andere abhängt. Organisationen, die behinderte oder pflegebedürftige Menschen unterstützen sollen, lehnen häufig aufgrund ihrer Leitbilder solche Identitäten ab, nicht immer aktiv, aber durch passives „nicht als Lebensinhalt zulassen“ was den Betroffenen oft sogar konkret gesagt wird.

Allgemein ist es im medizinischen Bereich oft noch ein Problem akzeptiert zu werden. Es heißt häufig, man könne nicht beides sein – behindert und Queer/Trans/LGBT+. Es ist wichtig die Vielfalt von Transmenschen und Menschen im Allgemeinen in der Medizin anzuerkennen, da darauf spezialisierte Ärzte und Therapeuten fast ausschließlich in Ballungszentren zu finden sind und dadurch für viele von uns unerreichbar bleiben. Aktuell hat der Bereich noch immer ein grundlegendes Problem mit Minderheiten und Diversität, da diese häufig noch immer als „Abweichungen von der Norm, die behandelt werden müssen“ betrachtet werden. Auch wenn es zum Glück seltener wird.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Ich würde mir wünschen, mich gar nicht erst zu Fremden ins Behandlungszimmer setzen zu müssen, wo ich diese von ihren eigenen Vorurteilen befreien muss, um das Recht zur freien Selbstbestimmung und Entfaltung meiner Persönlichkeit ausüben zu dürfen, da dies meist nicht möglich ist und mir Jahre meines Lebens raubt, in denen ich nicht ich selbst sein darf.

Und dass Organisationen, die mit Pflege und Assistenz von Menschen betraut sind, zur Unterstützung und Ermöglichung von Vielfalt und Diversität in diesen Bereichen verpflichtet und geschult werden. Jeder von uns wird alt oder kann irgendwann anderweitig auf solche Hilfen angewiesen sein.

Allgemein sollte die Entscheidung, welches Geschlecht man hat, nicht bei Fremden liegen, sondern mit einem Beratungsgespräch, einer kurzen Feststellung der rechtlichen Entscheidungsfähigkeit durch einen Beamten und einem Antrag, auf dem man seine Daten eintragen kann, von jedem persönlich geregelt werden können. Ich würde mir wünschen, dass geschlechtliche und sexuelle Vielfalt als ein fester Bestandteil in der Medizin integriert ist. Jeder Mensch, welcher in der Medizin arbeitet sollte dazu in die Lage versetzt werden sich ebenso um die medizinischen Angelegenheiten von LGBT+ Personen zu kümmern, wie es bei cis-het Menschen möglich ist. 

 

Mehr zu LSBTIQ* Lebensrealitäten: https://www.lsvd.de/de/politik/lebensrealitaeten

 

– Markus Apel, LSVD Bayern Landesvorstand, zuständig für die Bereiche Kultur, Medien, Intersektionalität und PR