Zeugen Jehovas und Homosexualität


Stefan Barnikow (39), aufgewachsen in der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, schwul und verheiratet, kritisiert die Sekte und findet deren Ansichten und Umgang mit Homosexuellen in ihren Reihen skandalös und menschenverachtend. Er sagt: “Durch die Zeugen Jehovas habe ich gelernt, was das Wort Diskriminierung wirklich bedeutet.”
Im Gespräch mit LSVD-Landesvorstand Markus Apel erzählt Stefan, wie er jetzt darüber aufklärt und Menschen helfen möchte, die die Sekte verlassen wollen.

Kopf mit Schatten


Kannst Du ersteinmal erklären, was Zeugen Jehovas eigentlich sind?

Man kann ganz allgemein sagen, dass es sich um eine religiöse Sondergemeinschaft handelt. Deren Lehre basiert auf einer eigenen und recht speziellen Auslegung der Bibel. Die Gemeinschaft wurde in den USA gegründet und wird auch von da gesteuert. Der ein oder andere kennt sie vielleicht vom Werben an den Haustüren und Fußgängerzonen. Man glaubt an den nahe bevorstehenden Weltuntergang, den nur Zeugen Jehovas überleben und an das darauf folgende Errichten eines Paradieses hier auf der Erde.

In wie weit sind die Zeugen Jehovas in Bayern aktiv, und unterscheiden sich deren Praktiken von anderen Bundesländern?

Also in Bayern gibt es 31.000 Zeugen Jehovas, die in 380 Gemeinden organisiert sind. In ganz Deutschland sind es 17.0000 und weltweit 7,5 Millionen Mitglieder. Spezielle Praktiken hier in Bayern gibt es nicht. Die Regeln und Lehren sind für alle Zeugen Jehovas weltweit annähernd gleich. Ja, ich möchte sagen gleich schlimm.

Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit innerhalb religiöser Gemeinschaften sind leider alles andere als neu. Diese Art von Ablehnung ist so verwurzelt, dass sie oft und leicht als selbstverständlich relativiert wird.

Nach außen vertreten die Zeugen Jehovas die Einstellung, dass sie die Handlungen Homosexueller nicht gutheißen, aber ansonsten nichts gegen sie als Menschen haben. Solche zweideutigen Aussagen werden gemacht, um rhetorisch schlechter angreifbar zu sein. Äußerungen aus ihren Zeitschriften, Büchern und Videos, lassen jedoch das genaue Gegenteil erkennen.

Ich möchte da mal ein Beispiel nennen: Es gibt Lernvideos, speziell für Kinder. In einem Teil mit der Überschrift “Ein Mann und eine Frau” wird der vermeintlich von Gott gewollte sexuelle Weg mit den Vorschriften für den Flugverkehr verglichen. Wer nicht heterosexuell lebt darf nicht an Bord. Im übertragenen Sinn will man sagen, wer schwul ist kommt nicht ins Paradies und wird bald sterben.
In weiteren Schriften vertritt man die Meinung, Homosexualität sei lediglich eine Neigung wie z. B. Aggressivität. Im Gegensatz zum Tier können Menschen sich bewusst dafür entscheiden ihre Triebe nicht auszuleben. Dies sei erforderlich um Gott zu gefallen.

Oder hier mal noch ein Auszug aus einer Zeitschrift der Zeugen Jehovas: “Doch wie sieht es heute mit diesen Gewohnheiten aus? Sind sie in deinem Land üblich? Was geht in dieser Hinsicht in deiner eigenen Nachbarschaft vor sich? Ist es nicht so, dass sogar einige Nationen ihre Gesetze ändern, damit Homosexualität nicht mehr strafbar ist und Homosexuelle von ihren Mitmenschen geachtet werden? Wie in den Tagen des Volkes Israel und wie in der Zeit der frühen Christenversammlung, so fühlen sich auch heute alle, die ‘in ihrem ganzen Wandel heilig werden’ wollen, von solchen Praktiken angewidert”. Auch solche oder ähnliche Aussagen werden immer wieder vorgebracht:
“Homosexualität ist unheilig und widerwärtig für Jehova, und er wird dies unter seinen ergebenen Dienern nicht tolerieren.

Dass man schon Kinder mit solch schrägen Aussagen belastet und aufhetzt, ist extrem unverantwortlich. Doch ähnliche Aussagen sind mir auch von den großen Kirchen bekannt. In großen Teilen Bayerns haben Glaubensgemeinschaften leichtes Spiel. Besonders im ländlichen Raum scheinen viele Menschen anfällig für gut verpackte Menschenfeindlichkeit.

Ja das stimmt, doch die Zeugen Jehovas gehen noch einen deutlichen Schritt weiter. Wer sich als Mitglied in der Gemeinde zur Homosexualität bekennt wird ausgeschlossen. Das wird dann öffentlich in den Zusammenkünften bekanntgegeben. Mit „Ausgeschlossenen“ ist der Kontakt abzubrechen. Dies gilt nicht nur für die Gemeindemitglieder sondern auch für die Familie. Betroffene werden von einem Tag auf den anderen regelrecht geächtet.

Ein Zeuge Jehovas lernt permanent und von klein auf, dass alle Menschen außerhalb der Gemeinde “schlechter Umgang” sind. Von diesen solle man sich fern halten, oder nur aller höchst notwendige Kontakte haben. Durch den Ausschluss steht man dann erstmal völlig alleine da. Das ist insbesondere bei Minderjährigen eine katastrophale Situation.

Wie war das bei Dir?

Ich selbst habe die Zeugen Jehovas schon im Jahr 2001 verlassen. Meine Eltern haben anfangs und verbotener Weise noch mit mir gesprochen. Mit meinem Eingehen der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft 2017 hält man sich aber an das Kontaktverbot und betrachtet mich seit dem als wäre ich tot.

Perfider Weise wird dieses Kontaktverbot seitens der Zeugen Jehovas auch noch als eine “liebevolle Vorkehrung” verkauft. Es soll den Betroffenen zum Nachdenken und wieder auf den rechten Weg (also zurück in die Sekte) bringen. Oft führt dieses Vorgehen zu schweren psychischen Krankheiten oder auch zu Selbstmord.

Wie hast Du das verarbeitet? Und welche Folgen hatte das für Dich?

Ich glaube so ganz kann man das wahrscheinlich nie verarbeiten. Aber ich habe gelernt damit umzugehen.
Eine große Hilfe war mein Mann Björn. Wir haben in unzähligen Stunden über das Erlebte gesprochen und tun das auch heute noch.
Es ist schwierig sich mit jemandem außerhalb über das gesamte Thema zu unterhalten. Die meisten Gesprächspartner können gar nicht glauben, dass solche Praktiken in der heutigen Zeit noch existieren.
Seit letztem Jahr bin ich Mitglied in dem Verein JW Opfer Hilfe e.V. Dort klärt man über die Zeugen Jehovas und deren Lehren auf. Mitgliedern, die die Gemeinschaft verlassen wollen, steht man unterstützend zur Seite. Das finde ich gut und wichtig, deshalb mache ich da auch mit.

Es ist wichtig, dass diese menschenverachtenden Umgangsformen öffentlich zur Sprache gebracht und verurteilt werden.
Vielen Dank, dass Du deine Geschichte mit uns geteilt hast.

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